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Blinde Zeichen

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Vor zwei Jahren klagte Maxim Biller in der Zeit, der deutschsprachigen Literatur fehlten „lebendige literarische Stimmen von Migranten“. Was er lese, sei saft- und kraftlos, die Literaten passten sich an „und kassieren Wohlfühlpreise.“ Als Provokation und Ansporn mag das hingehen, doch inzwischen hat sich die Lage geändert.

Mit seinem Debüt Vor der Zunahme der Zeichen ist der 1984 in Sri Lanka geborene Autor Senthuran Varatharajah eine stille Stimme im Chor der Literatur über Flucht. Obwohl es um Fremdsein und Asyl geht, würde Maxim Biller wohl die Lebendigkeit von Varatharajahs Roman bezweifeln. Kammerspielartig und in ruhigem Ton erzählen die beiden Figuren dieses Buches, der Tamile Senthil Vasuthevan und die Albanerin Valmira Surroi, einander im Facebook-Chat ihre Geschichte. Der komplette Roman besteht aus ihren Dialogen – wir lesen also einzig, was Valmira und Senthil einander berichten, eine Erzählerstimme gibt es nicht.

Er ist Doktorand der Philosophie in Berlin, sie studiert Kunstgeschichte in Marburg. Noch im Kindesalter waren sie mit ihren Eltern als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen – Valmira aus dem serbischen Kosovo, Senthil aus Sri Lanka. Beide eint ihre Fremdheit und die Erfahrungen, die sie in den 80er und 90er Jahren in Deutschland als Asylanten gemacht haben, der alltägliche Rassismus als Reaktion auf die dunkle Hautfarbe, die das Anderssein auf den ersten Blick anzeigt. Deutliche und sichtbare Zeichen.

In der Notunterkunft wird Senthils Familie von den Zeugen Jehovas besucht. Sie helfen beim Asylantrag und Behördengängen, und die Familie tritt der Gemeinschaft bei. Die Behausungen, in denen sie anfangs unterkommen, nennen sie „Asyllandheim“, wie Senthil in seinem durchwegs kleingeschriebenen Chat erklärt:

es hat lange gedauert, bis ich verstanden habe, dass das wort asyllandheim, das nicht nur meine eltern immer noch benutzen, das nach schullandheim, nach ausflug und ausgelassenheit klingt, eigentlich asylantenheim heißt.

Bei diesem Satz stocke ich, denn ich hatte „land“ überlesen. Deutschland als Asylland, Landheim – erst beim zweiten Lesen erkenne ich den Doppelsinn. Immer wieder baut Varatharajah in seine oft lyrisch anmutende Prosa solche Verstörungen ein, er spielt mit der Erfahrung von Differenz.

dass sinn und stoff, dass bezeichnendes und bezeichnetes nicht übereinstimmen (…) dass, wie ich später zu sagen lernte, signifikant und signifikat nicht kongruent sind

– dieser Satz steht, ausgerechnet, auf der Seite 99.

Als Flüchtlingskinder lernen Valmira und Senthil, die Codes der neuen Gesellschaft instinktiv zu erfassen, ihre Zeichen, ihre Sprache und auch die Ausgrenzung. Früh merken beide, dass sie wegen ihrer Hautfarbe auf Ablehnung stoßen. Im Kindergarten macht die Erzieherin Senthil sein Anderssein klar, als die Kinder Menschen malen. Es müssen weiße Kinder sein:

diese farbe nennen wir hier hautfarbe, und wir sprachen es ihnen nach.

Sieben Tage schreiben Senthil und Valmira einander, erzählen sich ihr Leben als Migrantenkinder – solche, die es in der Gesellschaft geschafft haben. Alles was zwischen ihnen passiert, geschieht in Sprache, begegnen werden sie sich nicht. Es ist ein Zwiegespräch ohne Ziel, zwei Geschichten, die am Ende im Leeren verhallen. Ihre Biografien entspinnen sich für den Leser erst nach und nach, aus verschiedenen Fäden weben sich Episoden: Plaudereien über gemeinsame Uni-Bekannte, Geschichten von ihrer Ankunft in der BRD, das Leben in ihrer alten Heimat, die Sorgen der Eltern.

Diese Geschichten und die Reflexionen darüber klingen jedoch keineswegs wie typische Facebook-Dialoge:

Valmira Surroi                                   18:43
Ich weiß nicht warum ich Dir schreibe.

Senthil Vasuthevan                          18:45
die gegenstände, die wir berühren, berühren uns zurück, an stellen, an denen wir taub für sie sind. die dinge, die wir sehen, sehen zurück, an stellen, an denen wir blind für sie sind.
wir fassen sie ins auge. sie stechen uns ins auge.
aber wir merken nichts.

Senthil Vasuthevan                          18:49
ich habe ins leere geschrieben. und du schreibst zurück, an stellen, an denen ich blind und taub für dich bin.

Mit der Messlatte des Realismus würde man diese Dialog verfehlen, obwohl es in dem Roman auch anrührende Szenen gibt, die einfach erzählen, was ist – etwa wenn Senthil beschreibt, wie er seinem Freund aus Kindertagen wiederbegegnet, der ein Nazi-Skinhead wurde, oder wenn Valmira erzählt, wie die anderen Kinder Angst hatten, sie zu berühren, weil ihre dunkle Haut ansteckend sein könnte wie eine Krankheit.

Wenn uns jemand versehentlich anfasste, lief er im Hof zu den anderen, und mit einer Berührung gab er unsere Erreger weiter.

Varatharajah schildert diese Momente knapp und lakonisch. Hier liegt die Stärke des Romans: Auch die Schilderung aus der ehemaligen Heimat gerät plastisch, die Figuren gewinnen Kontur.

Diese Sprache – eigentlich sind es zwei Sprachen, die von Senthil und die von Valmira – erzählt nicht bloß, sondern sie verdichtet in sprachphilosophischer Weise die Erfahrung von Fremdheit. Häufig aber läuft diese Sprache leer und ergeht sich in raunenden Allgemeinplätzen:

niemand wird wissen, von welchen rändern aus wir sprechen, und dass wir darüber sprechen können, ändert nichts daran.

Valmira Surroi                                   08:40
Wir müssen uns zwischen den Zeilen und Zeichen erraten.

Senthil Vasuthevan                          08:41
wir werden uns zwischen den zeilen und zeichen verraten.

Varatharajah spielt ebenso mit der Unschärfe von Sprache wie mit ihrem Zwang, Identität festzuschreiben. Zeichen verweisen, sie zeigen etwas oder stehen in einem Verhältnis der Analogie: „Das V ähnelt der Vulva, der weiblichen Scham“, schreibt Valmira. Doch häufig bleiben solche Beobachtungen abstrakt. Die Diskurse zu den Zeichen gehen über die Theorie nicht hinaus. Wir haben eine in die Literatur hineingepresste Philosophie.

Ebenso sind Alltagsszenen mit einem Anspruch aufgeladen, an dem Varatharajahs Sätze oft scheitern. Wenn Valmira an einem Seminar mit dem Titel „Die Biographie des Asyls – Das Asyl der Biographie“ teilnimmt, dann ist dies ein zu deutliches Zeichen. Oder wenn Senthil in der Schule schreiben lernt und seine Schrift die Linien nicht halten kann – und also Bezeichnetes und Bezeichnendes nicht zur Deckung kommen:

meine sprache verrutschte. und in die zeichen und zeilen ging kein geräusch.

Varatharajah dekliniert Positionen der Sprachphilosophie von Wittgenstein, Peirce und Derrida in Bildern durch, allerdings tut er dies in der Rolle des Skeptikers:

die welt ist, einer gewendeten rede zufolge, alles, was der fall, ein fall sei, vielleicht war es der der sünde.

unsere mutter sagte, so würden wir die sprache erlernen; wenn wir die worte der anderen, wenn wir fremde wörter für die eigenen halten.

Nur in seltenen Szenen wird das Leben dieser beiden jungen Menschen anschaulich. In den Dialogen entstehen keine Bilder, viele Begebenheiten liefern nur einen Vorwand für sprachphilosophische Fragen. Am Beginn des Romans stehen nichtssagende, zerhackte Alltagsdialoge:

Valmira Surroi                                   15:01
Bist Du hier?

Sethil Vasuthevan                            16:03
ich bin auf einer tagung

Sethil Vasuthevan                            16:05
in einer stunde beginnt das panel, auf dem ein freund sprechen wird.

Sethil Vasuthevan                            16:40
ich hatte den raum nicht gefunden und kam zu spät zur einführungsveranstaltung für studierende des neuen masterstudiengangs.

Diesen Chats fehlt etwas. Nach Immanuel Kant sind Begriffe ohne Anschauung leer, und Anschauungen ohne Begriffe bleiben blind. Diese beiden Ebenen kommen in dem Roman nicht zur Deckung. Zu oft proklamiert der Roman, anstatt im Erzählen zu zeigen, was er philosophisch sagen möchte. Varatharajah hat nicht den einfachen Weg gewählt. Der Roman schwimmt gegen den Strom. Es ist ein schwieriges und seltsames Buch.

Bildnachweis Beitragsbild:
Senthuran Varatharajah
Von gezett
Angaben zum Buch

Senthuran Varatharajah

Vor der Zunahme der Zeichen

Roman

Verlag S. Fischer 2016 · 256 Seiten · 17,99 Euro

ISBN: 978-3-10-002415-2

Cover Roman mit Rand

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