Ein Hörerlebnis, das einen umwirft, ist immer eine Seltenheit. Ausgerechnet auf Youtube, wo sich Dilettanten und aufstrebende Jungtalente gegenseitig auf die Füße treten, bin ich auf eine Aufnahme des legendären Pianisten Vladimir Sofronitsky gestoßen: Er spielt die Sonate Nr. 5 in Fis-Dur von Alexander Skrjabin aus dem Jahr 1907.
Die Sonate ist ein Schlüsselwerk der Moderne, sie spiegelt die Aufbruchsstimmung ihrer Entstehungszeit. Ich hatte immer eine leise Reserve gegenüber diesem Werk. Ich glaubte, selbst der raffinierteste Virtuose könne nie die Klangekstase erreichen, die ich mir in meinem Kopf vorstelle, wenn ich in die Partitur schaue.
Doch Sofronitsky gelingt es, die Verhältnisse umzukehren: Nicht der Interpret bedient unsere Erwartungen, vielmehr setzt er Maßtäbe, die wir verwundert zur Kenntnis nehmen müssen. So klingt also Skrjabin – so kann ein Klavier klingen.
Dies hören wir in einer tontechnisch archaischen Live-Aufnahme aus dem Jahr 1958.
Verliert hier nur der Hörer die Kontrolle oder auch der Pianist? Vom Handwerk her bleibt Sofronitsky immer souverän, daher lässt sich das nur schwer beurteilen.
Hör-Tipp:
Hören Sie sich dieses Stück zwei Mal an, es ist ja ziemlich kurz. Lassen Sie sich das erste Mal von der Intensität des Pianisten mitreißen. Versuchen Sie beim zweiten Mal, Distanz zu gewinnen und verfolgen Sie die perfekte Konstruktion von Skrjabins fünfter Klaviersonate.