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„Was wird aus mir ohne mich?“

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Ohne Auschwitz hätte ich nichts begriffen“, sagte Imre Kertész in dem Interview, das ich im Herbst 2013 mit ihm in Budapest geführt habe. Es war eine Begegnung mit einem Mann, der die Krankheit überwinden wollte durch Geist, Konzentration und Wachheit. Erst bei meinem zweiten Besuch, tags darauf, gelang es ihm. In seinen Tagebüchern protokolliert er den körperlichen Verfall, ironisch und verzweifelt. Ob er jetzt denn gar nicht mehr sterben könne?, fragt er den Arzt, nachdem ihm ein Herzschrittmacher eingesetzt wurde. Der Körper, der ihn am Leben erhalte, werde ihn dereinst umbringen.

Jeder bezahlt dafür, dass er gewagt hat, geboren zu werden.

Ich fürchte, wenn ich noch lange warte und älter werde, werde ich keine Kraft mehr zum Sterben haben.

Dieser Eintrag in Letzte Einkehr stammt aus dem Jahr 2002.

Imre Kertész wurde durch eine Erschütterung zum Autor: durch die Erfahrung, aus der Menschheit verbannt zu sein. Der Eintritt in die Verbannung beginnt an dem Bahnhof, „an dem ich einst, beziehungsweise genau vor dreieinhalb Tagen ausgestiegen war“, heißt es in Roman eines Schicksallosen. Im Wörtchen „einst“ steckt der Riss, der seither durch die Welt geht, auch wenn wir ihn kaum je wahrnehmen.

Sein Stil habe für die Erkenntnis nicht ausgereicht, die er ausdrücken wollte, sagte er in unserem Interview. Doch die Größe von Roman eines Schicksallosen besteht gerade im Verzicht auf den „großen Stil“, den hohen Ton. Vom Ungeheuerlichen erzählt Kertész mit den bescheidensten Mitteln: der Sprache eines Kindes, das mit der Realität einverstanden ist, weil es noch nichts anderes kennt. In Dossier K. beschreibt Kertész die Atmosphäre seines Romans:

Schon von den ersten Sätzen an kannst du spüren, dass du in eine sonderbare, souveräne Welt eintrittst, in der alles Mögliche passieren kann. Und während die Geschichte fortschreitet, verstärkt sich dieses Verlorenheitsgefühl beim Leser immer mehr, spürt er mehr und mehr, wie ihm der Boden unter den Füßen wegrutscht…

Schriftsteller erfinden Gefühle, sagt Hans Magnus Enzensberger. Imre Kertész verdanken wir das Gefühl der Absurdität, der traumwandlerischen Fassungslosigkeit. Der Schicksallose in Kertész‘ Roman ist eine metaphorische Figur, ein Verwandter Josef K.s. Als befände er sich in einem Traum, begreift der Junge nicht, wie ihm im Lager geschieht – auf dass wir es umso besser begreifen.

Irgendwie wird es schon werden, denn es ist noch nie vorgekommen, dass es nicht irgendwie doch geworden wäre.

Auf jeden Fall verging die Zeit auch hier.

Nach der Befreiung:
Das Leben, fügte er hinzu, müsse weitergehen, und, ja, wirklich, etwas anderes konnte es nicht tun, das sah ich ein, nachdem die Dinge nun einmal so standen, dass es überhaupt etwas tun konnte, versteht sich.

„versteht sich“, „das sah ich ein“, „wirklich“ (und immer wieder: „natürlich“) – Stilmittel des Selbstverständlichen. Sie transportieren die Realität des Lagers: Die Unfassbarkeit dieser Realität besteht darin, dass das Unfassbare normal geworden ist.

In Roman eines Schicksallosen wird nichts erklärt. Alles, was es zu sagen gibt, verlagert sich in den Kopf des Lesers, der zum Zeugen wird. Und daraus bezieht der Roman seine mysteriöse, mystische Kraft.

Schau, allein die Toten sind unbeschmutzt von der Schande des Holocaust. Dagegen ist es eine bittere Sache, den Stempel des Überlebens zu tragen.
(Dossier K.)

Weil Imre Kertész ein Überlebender ist, durchzieht das Mysterium des Todes sein gesamtes Werk, in Verbindung mit der Liebe zum Paradox. „Was wird mit Magda ohne mich?“, fragt Kertész in Letzte Einkehr.

Was wird mit mir ohne mich?

Bild:
By Csaba Segesvári. Licsense: CC-BY-SA-3.0, via Wikimedia Commons

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