Nachdem Michael Angele sich im Freitag eine „Sammelrezension der besten Rezensionen“ von Maxim Billers 900-Seiten-Wälzer Biografie erlaubt hat, habe ich keine Hemmungen mehr, den page 99-test zu praktizieren:
Open the book on page 99, and the quality of the whole will be revealed to you.
(Ford Madox Ford)
Die erste Seite eines Romans taugt nicht für eine Stichprobe. Oft sind die ersten Sätze Blendwerk, denn hier will der Autor zeigen, was er kann. Auf Seite 99 hat ein Buch zu sich gefunden. Die Energie des Anfangs ist verpufft, und nun zeigt es sich, ob der Autor oder die Autorin tatsächlich etwas kann.
Also Maxim Biller, Biografie! S. 99.
„Und – kniet er schon hinter ihr?“, sagte ich.
„Jesus… jetzt leckt er sie. Jetzt aber wirklich!“
Kaum zu glauben: Der erste und der letzte Satz dieser Seite 99 bilden eine Klammer, als wäre das so geplant gewesen!
Wir befinden uns mitten in einem Telefongespräch. Der Dialog, der von diesem ersten und letzten Satz umrahmt wird, handelt von anderen Dingen. Obwohl auch hier kaum von etwas Anderem als dem Einen die Rede ist: Eine kurze Passage handelt vom Onanieren, und es finden sich zwei originelle sexuelle Anspielungen, nämlich diese hier:
mit einem angenehmen Dreiviertel-Ständer Pläne für den nächsten Tag zu schmieden
Okay, Ungefickter.
Ansonsten geht es um
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eine Aufforderung zur Paartherapie
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Pläne, den Buddha anzuschauen, der in Hamburg steht
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Vorwürfe darüber, dass der andere damals nicht nach Oxford gegangen ist
Die auffälligsten stilistischen Eigenheiten dieses Zwiegesprächs bestehen in Wort-Wiederholungen, was auf einen beachlichten Hysteriepegel schließen lässt.
Hilfe! Hilfe!
Du musst – du musst – du musst
verstehst Du? Verstehst du?!
Durch Nachdenken, denke ich.
Der folgende Satz hat mich angesprungen wie ein Heuschrecke und geht mir seither nicht mehr aus dem Kopf – für mich der Höhepunkt dieser Seite 99:
Er lachte. Und ich lachte auch. Und wenn es einen Gott gegeben hätte, hätte der gedacht: Habe ich wirklich solche Idioten geschaffen?
Fazit:
Definitiv keine Durchschnittsware! Aber anstrengend. Nicht etwa, weil man aufgefordert wäre, den Text beim Lesen mitzuerschaffen, sondern weil der Autor uns mit so viel disparatem Stoff und absichtsvollem Witz traktiert. Ich bin mir nicht sicher, ob Maxim Biller die Erlaubnis hat, „mit dem Leser in ein Gespräch einzutreten“ (Ossip Mandelstam). Geschlagene 896 Seiten lang!
Biografie
Roman
Kiepenheuer & Witsch 2016 • 896 Seiten • 29,99 Euro
ISBN: 978-3-462-04898-8