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Zukunft zwischen Rausch und Wirklichkeit

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Dies ist der erste Text einer Reihe über Science-Fiction Literatur. Da ich selbst einen Zukunftsroman schreibe, will ich mir anschauen, wie man das macht: wie man es gut macht, wie man es besser macht und wie man es am besten nicht macht. Neben Philip K. Dick werden Klassiker dabei sein, aber auch moderne Annäherungen. Was ist das Besondere dieses Genres?

Philip K. Dick gehört zu den einflussreichsten Autoren des Science-Fiction Genres, und mit mehr als drei Dutzend Romanen und über hundert Kurzgeschichten ist er außerordentlich produktiv. Viel von unserem heutigen Empfinden für oder über Zukunft geht auf seine Geschichten zurück: Blade Runner (1982), Total Recall (1990), Matrix (1999) und Minority Report (2002). Die Filme sind berühmter geworden als die Texte. Die drei Stigmata des Palmer Eldritch (1965) hat Dick als sein wichtigstes Werk – „the most vital of them all“ – bezeichnet.

Philip K.Dick Android

Philip K. Dick als Android-Roboter

Die Figuren dieses Romans sind allesamt keine Helden. Barney Meyerson ist ein „Präkog“. Einer, der ahnt, was sich in der Zukunft ereignen könnte. Er arbeitet bei Leo Bulero, einem gewichtigen Industriellen, dessen Firma „Layouts“ herstellt, eine Art Puppenstuben, mit je einer männlichen und einer weiblichen Figur. Diese miniaturisierte Welt belebt sich allerdings erst – und das ist der zweite Anders als der klassische Roman kann sich der moderne Roman nicht mehr darin erschöpfen, die erfundene Welt als reale darzustellen, sie nur noch zu repräsentieren.Geschäftszweig Buleros – unter dem Einfluss der Droge Can-D. Der Konsument identifiziert sich nicht nur mit einer der beiden Figuren, er wird zu dieser Figur. Und die Puppenstube wird zu seiner Welt.

Palmer Eldritch ist der große Unbekannte im Roman. Nach zehnjähriger Abwesenheit kehrt er aus dem Proxsystem ins heimische Solarsystem zurück. Im Gepäck befindet sich das möglicherweise bessere Gegenprodukt zu Can-D: Chew Z. Bald, so ahnen die Präkogs, steht wahrscheinlich in der Zeitung, dass Bulero Eldritch getötet haben wird. Bulero möchte die Konkurrenz auf dem Drogenmarkt ausschalten, bezweifelt allerdings, dass er zu einem Mord fähig ist. Doch unter Einfluss der neuen Droge tötet Bulero Eldritch. Möglicherweise. Das wird von Dick nicht präzise formuliert: Denn Zukunft ist nur eine von möglichen Zukünften. Sie tritt nie ein. Was eintritt, ist Gegenwart.

Psychedelisch

Nahezu sämtliche Entwicklungen im Roman zeigen das Verhältnis von Wirklichkeit und Illusion. Mehrfach wird als Realität vorgeführt, was sich später als Illusion herausstellt, als anders gelagerte Realität oder als Wirkung der neuen Droge. Kann die Wirkung einer Substanz so intensiv sein, dass das, was „nur“ im Delirium geschieht, also in der rauschhaften Wahrnehmung, „wirklich“ geschehen ist?

Anders als der klassische Roman, die alte Droge, kann sich der moderne Roman, die neue Droge, nicht mehr darin erschöpfen, die erfundene Welt als reale darzustellen, sie nur nochzu repräsentieren, wie eine Puppenstube oder ein Layout. Die neue Droge imitiert die Realität nicht. Sie erschafft eine andere Realität, indem sie die alte zerstört. Wenn gilt, was Hans Blumenberg dem modernen Roman attestiert, dass ihn nicht der Fortgang der Ereignisse charakterisiert, sondern „die Konkurrenz der imaginären Kontextrealität mit dem Wirklichkeitscharakter“, dann handelt es sich bei Drei Stigmata tatsächlich um einen modernen Roman.

Dick hat brillante Ideen, etwa die Miniaturisierung lebender Menschen in Form von Puppen. So machen das Kinder. In der Zukunft Dicks sind es Erwachsene, die solch infantile Züge zeigen. Auch die Idee einer künstlich beschleunigten Evolution, die in speziellen Kliniken vorgenommen wird, ist brillant. Tatsächlich handelt es sich um eine Devolution: Die Patienten werden außerordentlich intelligent, was allerdings nie hilfreich ist. Der Preis dieser beschleunigten psychischen Entwicklung ist der einer physischen Degeneration: ihnen wächst ein Chitinpanzer.

Stilistisch ist Drei Stigmata mitunter ermüdend. Wenn hier zwei Menschen aufeinandertreffen, dann „gesellen“ sie sich zueinander, ein Verb eher für Schreibanfänger. Sprache ist bei Philip K. Dick ein Mittel zum Zweck, kein Medium, in dem sich darüber hinaus noch etwas zeigt.Weibliche Brustwarzen „wie rosa Erbsen“ und Beine als „erstklassige Fahrgestelle“: der typisch männliche Blick auf den weiblichen Körper. Wir lesen ein am Mündlichen orientiertes Allerweltsamerikanisch. Allerdings scheint sich diese Sprache für Verfilmungen zu eignen, denn sie hat lediglich die Aufgabe der Darstellung. Sprache ist bei Dick ein Mittel zum Zweck, kein Medium, in dem sich darüber hinaus noch etwas zeigt.

Auch erzählerisch ist Drei Stigmata keine Herausforderung. Wir haben einen allwissenden Erzähler, der die erzählte Welt von oben herab beobachtet und sie scheinbar objektiv darstellt. Von der morgigen Welt wird mit gestrigen Mitteln berichtet – also doch kein moderner Roman. Dennoch ist das Buch spannend. In immer neuen, kaum zu erwartenden Wendungen verändert der Autor das Verhältnis von Wirklichkeit und Illusion. In vielem, etwa dem Geschlechterverhältnis, ist der Roman von gestern. Zum Glück schreibt Dick nicht moralisch. Das muss er als Autor auch nicht. Moral ist die Aufgabe des Lesers, damit hat ein Autor nichts zu tun, im Gegenteil. Als Schöpfer einer Welt muss er frei von moralischen Hemmungen gegenüber seinen Figuren sein. Das war Gott, als er uns erschaffen hat, wahrscheinlich auch.

Auf arte kann derzeit eine siebenteilige Serie über Philip K. Dick aufgerufen werden.

Angaben zum Buch
Philip K. Dick
Die drei Stigmata des Palmer Eldritch
Roman. Aus dem Englischen von Thomas Mohr.
Fischer Taschenbuch 2014 · 256 Seiten · 9,99 Euro
ISBN-13: 978-3596905683

 

Bilder:
Philip K. Dick Android, by Rasmus Lerdorf (Licence CC BY 2.0)
Psychedelisches Muster, by PeteLinforth, via Pixabay (gemeinfrei)

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